Brevet Debüt  – 200er in Treuchtlingen

Freitagabend erreiche ich mein Quartier in Treuchtlingen, den einsam am Waldrand gelegenen Waldgasthof Heumöderntal. Die 80 jährige Wirtin und ihr in Hundejahren vermutlich ebenso alter Hund – ein Riesenschnauzer Mischling – begrüßen mich freundlich.

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Nach kurzem Geplauder übergibt mir die Wirtin den Zimmerschlüssel und weist mir den Weg dorthin. Das ganze Haus und die Einrichtung sind ziemlich in die Jahre gekommen, überall riecht es nach Rauch. Aber als hartgesottener Hüttenwanderer bin ich so einiges gewöhnt und hab kein Problem damit. Hauptsache für zwei Nächte ein warmes Dach überm Kopf mit einer ordentlichen Verpflegung.

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Samstagmorgen mache ich mich kurz vor 7 Uhr mit dem Auto auf den Weg zum nur ca. 2 km entfernten Vereinsheim des VFL Treuchtlingen, von wo aus das Brevet startet und wo Heidi und Karl Weimann uns Teilnehmer rundum versorgen. Wer möchte, kann am Vorabend anreisen und im Vereinsheim im eigenen Schlafsack übernachten, ebenso nach dem Brevet von Samstag auf Sonntag. Ab 7 Uhr werden vorm Brevet ein reichliches Frühstück serviert und die Startunterlagen ausgegeben. Für jeden Teilnehmer liegen mit Namen und Startblock vorgedruckte Aufkleber bereit, die die beiden Helfer fein säuberlich in die Brevetkarte einkleben, bevor sie diese an die Teilnehmer ausgeben.

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Ich bin einige Minuten vor Heidi und Karl am Vereinsheim und werde draußen persönlich begrüßt, als sie eintreffen. „Kannst gleich beim Ausladen helfen!“ fordert Heidi mich mit freundlich fränkischem Dialekt auf.Die Atmosphäre im Vereinsheim empfinde ich als sehr angenehm, ich kenne niemanden und dennoch fühle ich mich sofort wohl. Freundlich werde ich von einigen Randonneuren angesprochen und gefragt wo ich herkomme, wie oft ich schon gestartet bin usw. Ich bin nicht der einzige Brevet-Neuling und spüre, dass ich hier in eine wirkliche Gemeinschaft geraten bin. Viele kennen sich offensichtlich schon lange und begegnen sich Jahr für Jahr bei Karls Brevets.

Die Stimmung ist eine völlig andere als ich sie von Lauf- und Triathlon Veranstaltungen kenne, wo man sich zwar ebenfalls freundlich begegnet, allerdings hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt ist.
Bevor ich mich startklar mache, habe ich noch die Gelegenheit, mit Karl und anderen Randonneuren zu frühstücken und Informationen zum Thema Brevets aufzusagen.

Im und vor dem Vereinsheim bestaune ich die Vielfalt und Individualität der dort abgestellten Räder. Vom uralten Stahlrad mit Nabenschaltung bis zum aktuellen Carbonrad mit Scheibenbremsen ist alles vertreten. Ich liege mit meinem Alurad irgendwo in der Mitte. Ein reinrassiges Triathlonrad entdecke ich nur ein einziges und selbst Rennräder mit Aufliegern sind rar. Vor allem beeindrucken mich die Sonderkonstruktionen der wenigen Liegeräder. Aus reiner Neugier würde ich gern mal ein solches Rad fahren.

Was mir neben der technischen Vielfalt sofort in Auge sticht, ist, dass viele Räder – nach meinem Verständnis – dreckig sind. Und so ganz falsch liege ich diesbezüglich wohl nicht. Was ich denke spricht einer der Teilnehmer mit umgekehrter Wahrnehmung aus. Er meint, mein Rad sei so sauber.

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Draußen ist es kalt und neblig, deshalb starte ich mit drei Schichten am Oberkörper, einem Langarmfunktionsshirt, einer Radjacke und einer hauchdünnen Regen-/Windjacke als letzte Schicht. An den Fingern trage ich meine wasser- und winddichten Goretex Handschuhe, die Füße halte ich mit dicken Merinostrümpfen, und von meiner Mutter selbstgestrickten Wollsocken sowie Neoprenüberschuhen warm. Ich kann vorweg nehmen, dass ich dank dieser Kombination trotz Temperaturen von nur durchschnittlich 3°C bis ins Ziel nicht fror und weder kalte Hände, noch kalte Füße hatte.

Pünktlich um 9 Uhr startet der erste Startblock. Heidi locht die Brevetkarte jedes Teilnehmers und wünscht gute Fahrt. Ich bin im zweiten Block und starte 5 Minuten später. Ich sortiere mich hinten ein und bilde beim Losfahren das Schlusslicht dieses Startblockes. Während des ersten Kilometers rollt der große Zug gemeinsam raus aus Treuchtlingen. Wenig später bilden sich erste kleinere Gruppen. Ich bleibe gelassen hinten, doch mein Vordermann lässt nach wenigen Kilometern abreißen und ist mir etwas zu langsam. Ich möchte wenigstens zu Beginn etwas Gruppenerfahrung sammeln und dranbleiben. Der Abstand auf die Gruppe beträgt bereits mehrere hundert Meter, als ich beschließe, Gas zu geben und aufzuschließen. Leistung und Puls schnellen in die Höhe und bringen mich auf Betriebstemperatur. Wenige Minuten später erreiche ich das Ende des Feldes und rolle wieder entspannt am Ende des Zuges mit. Bereits die ersten Hügel splitten meine und auch die Gruppen vor uns in kleinere auf. Einerseits empfinde ich es als angenehm in der Gruppe zu fahren, denn es geht ohne große Anstrengung flott voran und man verlässt sich bei der Navigation auf die Führenden. Andererseits muss ich mich permanent auf den Vordermann konzentrieren, kriege wenig von der Landschaft mit und fühle mich trotz der Annehmlichkeiten im Unterbewusstsein etwas unter Druck gesetzt. Deshalb werde ich wohl nie ein Gruppenfahrer werden, sondern eher der einsame Wolf bleiben.

Am ersten nennenswerten Anstieg nach ca. 20 km löst sich die Gruppe quasi auf. Ich habe dank bergtauglicher Übersetzung 34/32 weder an diesem, noch an den folgenden Steigungen Probleme. Insbesondere an der Steigung zum Kipfenberg – Bayerns geographischer Mittelpunkt – zeigten sich die Kletterkünstler. Oben angekommen muss ich die angekündigte Kontrollfrage beantworten und das fünfte und sechste Wort einer in Stein gemeißelten Innschrift in meine Startkarte eintragen. Ich mache ein Foto, eintragen kann ich später noch.

Kontrollfrage am Kipfenberg

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Ich pausiere nur kurz, verpflege mich und radle nach wenigen Minuten weiter. Ab hier fahre ich bereits überwiegend allein, erwische hin und wieder eine kleine Gruppe, die sich meist nach kurzer Zeit wieder auflöst, alles ganz zwanglos. Vereinzelt rauschen ambitioniert fahrende Gruppen oder schnelle Einzelfahrer an mir vorbei, meistens mit auffällig wenig Gepäck an Bord.

1. Kontrolle

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Auch unterwegs empfinde ich die Atmosphäre als sehr freundlich. Jedes Mal wenn ich anhalte, um Wasser zu lassen, mich zu verpflegen oder zu fotografieren, rufen mir vorbeifahrende Fahrer zu, ob alles in Ordnung sei. Dies gab mir das Gefühl trotz Alleinfahrens in einer sehr hilfsbereiten Gemeinschaft unterwegs zu sein.

Einige Kilometer vor der zweiten Kontrolle werde ich von einer Gruppe aufgesaugt, denen ich scheinbar zu langsam bin. Ich werde bis zum Ende durchgereicht. Doch kurze Zeit später folgt ein knackiger Anstieg nach Ihrlerstein, wo ich mir meinen nächsten Stempel holen möchte. Die zuvor noch homogene Gruppe zerfällt Meter für Meter in Einzelfahrer, jeder kämpft nun sichtbar mit selbst. Ich behalte meinen Rhythmus bei und bin, als ich mich nach einiger Zeit umschaue, allein auf weiter Flur.
Der Anstieg hat mich Körner gekostet und ich bin erleichtert, als ich endlich den Edeka Markt, die 2.Kontrolle erblicke. Auch hier pausiere ich nur kurz, hole mir meinen Stempel, drücke einen Riegel und ein Gel rein und nehme einen ordentlichen Schluck Wasser. Ich habe 1,75 Liter mitgenommen und die reichen mir exakt bis ins Ziel.

Einen kurzen Moment überlege ich, die oberste Kleidungsschicht abzulegen, doch erfahrungsgemäß bereue ich dies spätestens bei der nächsten windigen Abfahrt. Ich behalte alles an und fahre weiter, allein, und das bleibt nahezu so während der nächsten ca. 100 Kilometer.

Den Streckenabschnitt ca. 20 km vor der 3. Kontrolle bei Kilometer 146 empfinde ich als extrem monoton. Statt einer erwartet idyllischen Landschaft im Altmühltal, in der sich die Altmühl mäanderförmig durch kleine Dörfchen schlängelt, die ich auf einsamen Radwegen durchfahre, kämpfe ich mich allein gegen den Wind auf einer viel befahrenen Bundesstraße entlang eines begradigten Flussbettes. Überhaupt hatte ich eine landschaftlich schönere und einsamere Strecke erwartet.

Als ich die nächste Kontrolle, eine Aral Tankstelle, erreiche, wimmelt es dort vor Randonneuren. Einige rauchen draußen, andere sitzen in Grüppchen drinnen bei Kaffee und Kuchen, doch mir ist das zu hektisch, ich hole mir nur meinen Stempel, verpflege mich draußen an meinem Rad und mache mich alsbald auf den Weg.

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Ab jetzt ist die Strecke wieder abwechslungsreicher und tatsächlich schlängelt sich die Altmühl hier und da durch kleine Ortschaften, die ich passiere. Gleichzeitig steigt meine Stimmung, der kurze Durchhänger ist überwunden und auch ohne Gruppe rolle ich dank Rückenwind teilweise mit 35er Schnitt Richtung Ziel.

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Doch die gute Laune währt nur etwa 40 weitere Kilometer, bis mir klar ist, dass ich mich verfahren habe. Kurz vor Schernfeld piepst mein Navi und meldet Streckenabweichung. Das kommt schon mal bei GPS Ungenauigkeit vor. Ich fahre weiter und auch kurze Zeit später piepst mein Edge erneut mit der Meldung „Strecke gefunden“. Ich bin zunächst erleichtert, bis einige Kilometer später feststelle, dass die durchfahrenen Ortschaften nicht mit denen im Roadbook übereinstimmen.

Ich halte an und zücke mein iPhone und prüfe mit der Karten-App und GPS, ob ich mich noch auf dem Track befinde. Ja, mein Standort liegt sogar exakt auf dem Track. Ich fahre weiter, befürchte aber doch, dass hier was schiefläuft. Ich halte erneut an und blättere – leider erst jetzt – auf die Seite des Edge, die die Entfernung zum Ziel und zur nächsten Kontrolle anzeigt. Und da stehen 178 km bis zum Ziel. Nun fällt es mir wie Schuppen von den Augen, dass ich zwar auf dem Track bin, aber in die falsche Richtung fahre.

Ich bin frustriert und zugleich geistig blockiert. Ich denke sofort an meinen ersten Ironman, der in die Hose ging. Ähnliche Gedanken machen sich nun breit. Im Geiste male ich mir aus, dass ich ab jetzt umherirren muss, um diese blöde Kontrollzange zu finden, damit ich das Brevet erfolgreich beende. Und wenn ich sie nicht finde, fahre ich halte ohne zurück zum Ziel. Bis Treuchtlingen schaffe ich es schon irgendwie. Doch schnell besinne ich mich. Was macht nochmal einen Randonneur aus? Er kann allein navigieren und beweist auch in schwierigen Situationen psychische Stärke.

Ich beende den Track, nehme das Roadbook zur Hand und krame meine Gleitsichtbrille aus der Lenkertasche, denn nur mit dieser kann ich in der einsetzenden Dämmerung alles richtig entziffern. Als Ziel programmiere ich den Ort ein, welchen ich hätte erreichen müssen, ihn aber definitiv nicht durchfahren hatte , Schernfeld bei Kilometer 188.

Ich drehe um, trete in die Pedalen und folge dem Navi. Hoffentlich reicht dieTankfüllung aus, geht es mir nebenbei durch den Kopf. Das Wasser ist bereits fast aufgebraucht, aber 3 Gels sind noch übrig, die sollten zur Not ausreichen.

Nach ungefähr 10 Kilometer sehe ich in der Ferne einen ziemlich gut beleuchteten Radfahrer, das kann nur ein Randonneur sein. Ich schalte meinen Turbo ein und jage ihm nach. Als ich zu ihm aufschließe und Gewissheit habe, dass wir das gleiche Ziel vor Augen haben, bin ich sehr erleichtert und freue mich. Ich erzähle ihm von meiner Irrfahrt und nach kurzer Diskussion ist klar, dass ich exakt am Kreuzungspunkt zwischen Hin- und Rückweg – vor Schernfeld – wieder den Hinweg erwischt hatte, deshalb auch die Anzeige „noch 178 km bis zum Ziel“.

Trotz mehrerer Navigationshilfen, die ich an Bord hatte, vertraute ich nur der dünnen Tracklinie auf der Kartenanzeige des Edge, ein fataler Fehler. Dumm gelaufen, aber sehr lehrreich und 24 zusätzliche Trainingskilometer.

Kurze Zeit später gesellt sich ein weiterer Randonneur dazu. Gemeinsam erklimmen wir den kleinen Ort Hocholz, wo wir mit der an einem Gartenzaun – Hausnummer 4 – befestigten Kontrollzange unsere Karte lochen. Während ich das kleine Lochbild betrachte, spüre ich aufkommende Vorfreude auf Erreichen des warmen Vereinshausens in Treuchtlingen.

Gut beleuchtet nehmen wir die letzten Hügel und Kilometer und radeln gemeinsam bis ins Ziel, wo uns Heidi mit warmer Suppe erwartet. Doch bevor ich mir einen Teller einschenken lasse, notiere ich noch schnell die zwei Worte – Mittelpunkt Bayerns – der Kontrollfrage in die Brevetkarte und gebe diese beim Kontrolleur ab. Er trägt meine Ankunftszeit ein und überreicht mir meine erste Brevet-Urkunde

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Bike : 239 km | +2379 Hm | 10:27/11:26 h | 22,9/20,9 km/h (Netto/Brutto) | NP 169 W

6 Kommentare

  1. gratuliere zum ersten Brevet – und das auch noch beim Karl! Und zum Navigieren… Wenn Du die Karte immer mit Nord oben einstellst, wirst Du schnell erkennen, ob Du in der richtigen Richtung fährst. Alles Gute für den 300er wünsche ich Dir.
    Dietmar

  2. Schöner Bericht.

    Du kannst natürlich auch den Track in schlanke Häppchen von Kontrolle zu Kontrolle aufteilen und so weiterhin den meiner Meinung nach augenfreundlicheren 3D-Modus (weiter-)benutzen.
    Wenn Du Dir für jede Kontrolle einen Waypoint auf’s Edge lädst kannst Du die im Notfall schnell als Ziel einprogrammieren.

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