300 km Brevet – ARA Mittelhessen – Gießen

Mein erster 300er. Wie beim letzten Mal bin ich wieder vor 7 Uhr als erster vor Ort. Im Gebäude C21 der THM Gießen ist es noch dunkel und die Parkplätze sind leer. Ich habe freie Auswahl. Wenig später trudeln nach und nach die anderen Teilnehmer und Christian mit seinem Organisationsteam ein. Mit etwa 20-25 Randonneuren ist das Starterfeld deutlich kleiner als beim 200er.

Bevor es los geht, gibt Christan noch ein paar Hinweise zur Strecke, insbesondere zur Kontrollzange, die beim letzten Mal etwas klein geraten war und von mir ohne Brille als Frosch identifiziert wurde, obwohl es ein Schmetterling war. Diesmal sah die an einem Radwegschild mit Kabelbindern befestigte Kontrollzange tatsächlich – und ohne Brille gut erkennbar – wie eine Zange aus.

Pünktlich um 8 Uhr, nachdem noch ein Gruppenfoto geschossen wurde, geht es los, ich wieder ziemlich weit hinten, gezwungenermaßen, weil ich nach dem Fotoshooting noch mal für kleine Jungs muss.

Hier der Link zum  Gruppenfoto.

Weil es leicht regnet, entscheide ich mich für die komplette Regenmontur. Regenhaube für den Helm, Regenjacke, Regenhose, Regenhandschuhe und Neoprenüberschuhe. Schließlich habe ich alles an Bord, „absurd viel“ meinte im Vorfeld ein Bekannter. Und auch unterwegs fragt mich ein Randonneur im Liegerad, ob ich einen Grill dabei habe. Macht Euch nur lustig über mich!

Da ich vor zwei Wocher beim 200er Brevet Probleme mit meinem Edge 1000 hatte, der beim Aktivieren des Tracks abstürzte, hab ich diesmal zusätzlich meinen  GPSmap 64s am Cockpit befestigt und beide mit dem selbstgebastelten Track gefüttert. Und tatsächlich stürzt der Edge wieder ab, schon seltsam und ich bin froh, dass ich für Redundanz gesorgt habe, und zwar nicht nur bei der Navigation. Auch an Beleuchtung habe ich nicht gespart! Als Frontlicht ist eine Edelux II Nabendynamoleuchte im Einsatz, zusätzlich habe ich eine ultrahelle MagicShine Akkuleuchte am Lenker montiert, für schnelle Abfahrten. Und damit ich bei Dunkelheit zur Not Reparaturen durchführen kann oder die Sachen in meinen vielen Taschen wiederfinde, habe ich zusätzlich eine LED Lenser H7 am Helm montiert. Als Rückleuchten verwende ich eine Dynamo- und zwei Akkurücklichter. Das am Sattlepack montierte Akkulicht habe ich leider verloren.



Etwa nach 45 Minuten hört es auf zu regnen. Ich halte kurz an, entledige mich meiner Regenhose, zu warm. Als ich weiterfahre, treffe ich auf zwei freundliche Randonneure aus Japan. Wir rollen gemeinsam auf einsamen Landstraßen durch herrliche Wälder. Als wir den Wald verlassen, bietet sich uns ein grandioser Blick auf das Lumbdatal. Mein erster Gedanke ist : Mensch hier müsstest du eigentlich anhalten, um zu fotografieren. Was ich denke, setzten die beiden Kollegen mit strahlenden Gesichtern sofort in die Tat um. Ich gehe ebenfalls in die Eisen, stelle mein Rad ab und zücke mein iPhone. Wir fotografieren uns gegenseitig und natürlich die herrliche Landschaft. Dies ist einer der Gründe, warum ich hügeliges Gelände so sehr mag. Nur wenn man oben angekommen ist, hat man einen so weitreichenden Blick in die Ferne.



Bis zur ersten Kontrolle bei Kilometer 34 in Homberg/Ohm – eine Aral Tankstelle –   bleiben wir zusammen, danach trennen sich unsere Wege.

      Ich halte mich nicht lange auf, hole mir meinen Stempel, esse einen Riegel und radle weiter. Wie schon beim 200er führt unser Weg wieder durch Arnsheim, diesmal jedoch von der anderen Seite durch den Ort. Deshalb bleibt uns die steile Rampe vom letzten Mal erspart. Stattdessen erwartet uns eine rasante Abfahrt hinunter ins Tal. Auch hier bietet sich ein atemberaubender Blick, den ich fotografisch festhalte. 

Auf dem Weg zur zweiten Kontrolle macht sich bereits mein Allerwertester unangenehm bemerkbar, viel zu früh, und ich vermute, dass es u.a. daran liegt, dass ich die beiden Dämpfungselemente im Sattel entfernt habe, ohne dies vorher zu testen. Und evtl. auch daran, dass ich aus praktischen Gründen eine Radhose ohne Träger trage, die ich noch nie über längere Strecken getestet habe. Und zu allem Übel habe ich auch vergessen, meinen Hintern mit Gesäßcreme zu präparieren. Drei Veränderungen, im Nachhinein dilettantisch! Die Dämpfungsgummis habe ich mitgenommen. Nach etwa 150 km, als es so langsam unerträglich wird, kommen sie zum Einsatz. Signifikante Verbesserung – Fehlanzeige!

Etwa 10 Kilometer vor der zweiten Kontrolle in Ostheim passiere ich das schöne Örtchen Homberg/Efze und erinnere mich an meine Zeit, die ich dort vor 36 Jahren als Soldat in der Grundausbildung verbracht habe. Ich erkenne ehrlich gesagt nichts wieder! Obwohl die Altstadt schön und ansehnlich ist, bin ich froh, dem Trubel möglichst schnell zu entkommen. Kurz hinterm Ortsausgang halte ich an, um den sich bietenden Panoramblick festzuhalten. Währenddessen überholt mich Christian und erkundigt sich, ob alles in Ordnung sei. Ich nicke und schieße schnell ein paar Fotos.

Nahezu gemeinsam erreichen Christan, ein weiterer Randonneur und ich die zweite Kontrolle, eine Esso Tankstelle. Das bis hier hin zügige Rollen mit überwiegend Rückenwind hat nach 97 Kilometer – an der nördlichen Spitze des Dreiecks – für zunächst lange Zeit ein Ende, leider! Ich verweile nur kurz, fülle meine Trinkflasche nach und gönne mir ein Gel und einen Riegel.


Bevor ich losfahre, weist mich Christian noch drauf hin, aufzupassen, dass ich im Kreisel nicht die Auffahrt zur A7 erwische. Ich nehme die richtige Ausfahrt und bereits auf den ersten Metern Richtung Süden herrscht starker Gegenwind, gleichzeitig fängt es wieder an zu regnen. Die nächsten Höhenmeter lassen ebenfalls nicht lange auf sich warten. Wind und Hügel bleiben, der Regen verabschiedet sich Gott sei Dank relativ schnell wieder. Zeitweise kommt die Sonne zum Vorschein, richtiges Aprilwetter.

Der Streckenabschnitt durch den Knüllwald nach Oberaula ist landschaftlich besonders schön. Wie gern hätte ich hier noch weitere Fotos geschossen, aber ich wollte ja auch vorankommen.


Schließlich erreiche ich etwa zeitgleich mit dem Liegerad-Randonneur die Kontrollzange um Punkt 15 Uhr.

  Anschließend fahren wir eine Weile zusammen, zwar mit gewissem Abstand, aber mit Sichtkontakt. Während eines kurzen Stopps plaudern wir ein wenig und begutachten unsere Räder. Ob ich einen Grill dabei habe, fragt er mich schmunzelnd, berechtigterweise. Nein, es ist ein Test für längere Distanzen, die ich noch in Angriff nehmen möchte. Trotz dieser beträchtlichen Größe war die Apidura hinterm Sattel zu keiner Zeit eine Behinderung, auch nicht bei starkem Seitenwind. Einzig im Wiegetritt schlackert sie hin und her, für mich kein Problem, da ich nahezu alle Steigungen dank 34/32 Übersetzung sitzend erklimme.

Danach verlieren wir uns aus den Augen, weil meine Sitzprobleme zunehmen, und ich regelmäßig Minipausen einlege. Irgendwann überholt mich auch Christian wieder und entschwindet zugleich in der Ferne. Beide treffe ich gegen 18:45 Uhr an der dritten Kontrolle beim „Fliesen-Kiesel“ bei Kilometer 207 wieder. Die südliche Spitze des „Kirchheimer Dreiecks“ in Heubach ist erreicht, Erleichterung. 

Dort werden wir – sehr freundlich und fürstlich – in einem privaten Wohnhaus empfangen. Die Tische sind gedeckt, Essen und Trinken sind reichlich vorhanden. Ich gönne mir einen Kaffee und zwei belegte Brötchen. Welch ein Genuss im Vergleich zur Gel-Riegel-Zuckerpampe. Gleichzeitig nutze ich die Gelegenheit, meine Radhose zu wechseln. Ich schlüpfe in eine – auf langen Strecken bewährte – Gore Trägerhose mit dickem Sitzpolster und hoffe auf ein Wunder, welches leider ausbleibt. Die Beschwerden lassen zwar etwas nach, dennoch muss ich nach wie vor meinen Allerwertesten alle paar Minuten anheben und kurz entlasten, bis ins Ziel.

Um 19:35 Uhr schicke ich meiner Frau eine Nachricht, dass ich die letzten 100 km in Angriff nehme. Es geht Richtung Nord-West zurück nach Gießen, um das Dreieck zu vollenden. Es sind noch etwa 1500 Höhenmeter zu überwinden, die meisten davon auf den ersten 40-50 Kilometern dieses letzten Streckenabschnittes. Gleichzeitig rechne ich mit ordentlichem Gegenwind. Doch glücklicherweise ist dieser weit weniger stark als erwartet. Teilweise beflügelt  mich sogar ordentlicher Rückenwind. Das Hineinfahren in die Dämmerung und in die Nacht empfinde ich als sehr angenehm. Nahezu alle Straßen sind wie leergefegt, herrlich. Christian und der Liegerad-Randonneur sind übrigens vor mir aufgebrochen. Beide bekomme ich auf der Strecke nicht mehr zu sehen. Ich spule meine restlichen Kilometer ganz allein ab und bin fest entschlossen, den ersten 300er zu bestehen.

Leider entgeht mir in der Dunkelheit die herrliche Landschaft des Vogelsberg. Ganz sicher werde ich hier hin bei Tageslicht zurückkehren. Ich bin erleichtert, als irgendwann am rechten Straßenrand ein Schild mit der Aufschrift „Höhe 600 m“ auftaucht. Ab jetzt sollte die Strecke laut Höhenprofil „fast“ nur noch bergab und flach Richtung Gießen verlaufen. Gut, dass ich die helle Akkulampe montiert habe, nur so traue ich mich, die Abfahrten zügig zu nehmen.

Die Berge habe ich endlich überwunden, da kommt der Regen zurück, etwa 40-50 Kilometer vorm Ziel. Meine Regenklamotten sind im Sattle Pack verstaut und ehrlich gesagt habe ich keine Lust mehr, anzuhalten, um wieder alles anzuziehen. Augen zu und durch. Da ich mir meine Kräfte gut eingeteilt habe, lege ich jetzt eine Schippe drauf und erhöhe das Tempo. Ich will es hinter mich bringen, so schnell es geht. Doch mit jedem weiteren Kilometer verschlechtert sich die Sicht. Meine Rabrille beschlägt beidseitig und die orangen Gläser verstärken die Blendwirkung entgegenkommender Autos. Ich schiebe sie auf die Nasenspitze und blicke drüber hinweg. Alles andere ist zu gefährlich. Meine Castelli Gabba Radjacke hält dem Regen zwar einigermaßen Stand, doch an Händen und Füßen friere ich zunehmend. Wie hält Christian das nur aus, geht es mir durch den Kopf, der ist mit 3/4 Hose und komplett ohne Regenbekleidung unterwegs. Das Wasser läuft mir aus den Schuhen. Aber Gott sei Dank ist es jetzt nicht mehr weit.

Zwischen Lich und Gießen hat Christian nochmal eine kleine Rampe eingebaut, vermutlich ein kleine Zugabe für die bereits erklommenen 3400 Höhenmeter.

Eine halbe Stunde nach Mitternacht erreiche ich endlich die Zielkontrolle, das Best Western Hotel in Gießen. Der freundliche Portier stempelt meine Karte und zapft mir ein alkolfreies Bier. Bin ich erleichtert! Ich wärme mich kurz auf, lehne ein zweites Bier dankend ab, denn ich sehne mich nach meinem warmen Auto, nach zu Hause. Auf den paar Metern vom Hotel bis zum Parkplatz, wo mein Auto auf mich wartet, zitterte ich so intensiv vor Kälte auf dem Rad, dass ich Mühe habe, geradeaus zu fahren. Am Auto angekommen, schlüpfte ich so schnell es geht in trockene Klamotten, stellte Heizung und Sitzheizung auf die höchste Stufe und fahre stolz und zufrieden, aber auch nachdenklich heimwärts, weil Zweifel aufkommen, ob ich mir mit der kpl. Brevet Serie bis 1000 km fürs erste Brevetjahr nicht zuviel vorgenommen habe.

Vielen Dank an Christian und sein Team für die tolle Streckenauswahl und insbesondere für die gute Organisation und Verpflegung. Gern komme ich im nächsten Jahr wieder!

Bike : 304 km | +/- 3437 Hm | 14:32 h | 20,9 km/h | NP 136 W
(Brutto 16:43 h, zulässig Max. 20 h)

4 Kommentare

  1. Richtig gut hast Du das gemacht! Und eine schöne Randonneursprüfung mit Regen, Wind und Kälte war es wohl auch. Licht kann man nicht genug am Rad haben! So halte ich es auch. Und noch ein kleiner Tipp zur Apidura Satteltasche: Ich ziehe bei meiner Revelate Viscacha noch einen Zurrgurt zusätzlich unten um die Tasche und durch die Sattelstreben. Dann schlackert nichts mehr! Dir wünsche ich für das 400er gutes Wetter und ein wenig Wärme. dann wirst Du das ganz locker meistern! all the best. Dietmar

  2. Lass beim 400er einfach deinen Grill zu Hause, dann schaffst du den locker! Finde ich nicht, dass das zu früh ist, die Serie komplett zu fahren, habe ich auch so gemacht! Schöne Grüße von Henrik

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