200 km Brevet – ARA Mittelhessen (Gießen)

Nach 6 Jahren “Langstrecken” Pause war ich am 23. März beim Saisonauftakt von “ARA Mittelhessen” in Gießen am Start, um die 200 km Strecke “Mittelhessische Schlösser und Burgen-Tour” mitzufahren. 

Genau wie in 2016, als Christian Schulz als Organisator den ARA Startort “Mittelhessen” eröffnete, war ich wieder der erste Randonneur vor Ort. Damals war der Start am Gebäude C21 der TH Mittelhessen, diesmal in der Grünberger Straße 172 bei der Bäckerei Künkel, ganz in der Nähe des Studentenwohnheims, das von 1983-1987 mein zweites zu Hause war, als ich in Gießen studierte. Und deshalb hatte ich am Samstag auch kein schlechtes Gewissen, den Besucherparkplatz des Studentenwohnheims als Startbasis für das Brevet zu nutzen.

Ich kann mich für Distanzen jenseits der 100 km auf dem Rad nur motivieren, wenn ein entsprechendes Ziel dahintersteckt. Mein diesjähriges Ziel ist der Ötztaler Radmarathon am 1.September. Christians Brevets sind bekannt für reichlich Höhenmeter und deshalb ein guter Einstieg ins Ötzi-Training und eine Orientierung, wie gut ich bereits in Form bin.

Für mein Orbea Terra, war es das erste Brevet und somit eine Generalprobe von “tubless” Reifen und elektronischer Schaltung auf der Langstrecke. Soweit ich mich erinnere, hatte ich bei meinen bisher 12 Brevets (ca. 3.800 km) mit dem System Reifen plus Schlauch keinen einzigen Platten. Eine super Bilanz – finde ich! Ob sich diese auch mit tubeless fortsetzt?

Das Terra hatte ich im Neuzustand mit Conti Grand Prix 5000 S TL (30-622) tubeless Reifen bestücken lassen. Conti-Reifen überzeugten mich bisher in jeder Hinsicht. Doch am Terra stellte ich beim Reinigen – nach nur ca. 900 km – hinten drei und vorn einen Durchstich fest, die alle durch die Milch abgedichtet wurden. Also kein Plattfuß und „tubeless“ hat gemacht, was es soll. Dennoch machte mich das stutzig. Hat sich die Qualität von Conti-Reifen so verschlechtert? Sicherheitshalber tauschte ich die löchrigen Reifen gegen einen neuen Satz Conti desselben Typs in 32 mm Breite aus. Abdichtung ohne Milch kein Problem und auch der Druck hielt nach einer Probefahrt bis zum Brevet. (hoffentlich auch währenddessen) 

Normalerweise mache ich bei Brevets reichlich Fotos und genieße die Strecke. Diesmal war es Training und Konzentration auf gleichmäßiges Fahren mit Blick auf den Wattmesser und ein Test des Materials. Deshalb ist mir die “Burgen und Schlösser-Tour“ bis auf ein paar Details nur als Ganzes in Erinnerung geblieben und zwar als eine landschaftlich schöne und in Bezug auf Streckenführung und Streckenprofil ausgewogene Strecke. Abgesehen von ca. 20 km Bundesstraße führte das Brevet überwiegend über verkehrsarme Land- und Kreisstraßen sowie einige asphaltierte Radwege.


Die erste Hälfte des Brevets lief – abgesehen vom Wetter – bestens. Aber auf schlechtes Wetter hatte ich mich eingestellt. Mit Regenjacke, Regenhose, wasserdichten Winterschuhen plus Überschuhen sowie Regenhandschuhen trotzte ich dem Wechsel von Sonne, Regenschauer, Hagel, Schneeschauer und teilweise heftigen Windböen.

Doch dann – in Trais-Münzenberg – nach knapp 100 Kilometern die erste Zwangspause! Plattfuß vorne – und es quoll Dichtmilch aus den Flanken, wo der Reifen in der Felge abdichtet. Ich hielt an, untersuchte den Reifen und konnte nirgends einen Einstich feststellen (was sich übrigens nach dem Brevet zu Hause beim Reinigen des Bikes bestätigte). Nicht mal ein Kratzer auf der Oberfläche! Beim ersten Mal Aufpumpen quoll weiterhin Dichtmilch aus den Flanken und sofort war der Reifen wieder platt. So ein Mist!

Gleich der erste Randonneur, der hinter mir in den Ort kam, stoppte und bot mir seine Hilfe an. Sehr nett! Ich bedankte mich und sagte ihm, dass ich alles dabei habe und notfalls einen Schlauch einziehen werde. Wir plauderten noch kurz und während er weiter radelte, pumpte ich den Reifen nochmal auf und diesmal hielt der Druck. Mit einem unguten Gefühl und dennoch erleichtert radelte ich weiter zur 3.Kontrolle – zum Edeka in Rockenberg. 

Als ich dort nach 106 Kilometern ankam, war der hilfsbereite Randonneur, der übrigens Tom heißt und einen interessanten Youtube-Kanal betreibt, auch dort. Drinnen, beim Bäcker machten wir ein Päuschen und unterhielten uns. Er erzählte mir u.a. von seiner neunwöchigen Radreise mit seiner Frau, wo es 5 Wochen nahezu ununterbrochen geregnet hat. Dass „Gießen“ Toms erstes Brevet war, er es filmte und auf seinem Kanal veröffentlichte, erfuhr ich zufällig erst ein paar Tage später. Auch die Videos zu der genannten Radreise finden sich auf seinem Kanal.

Bevor ich mich auf den Weg zur 4.Kontrolle nach Braunfels machte, überprüfte ich nochmal den Luftdruck des Vorderrades und pumpte etwas nach. Offensichtlich verlor ich schleichend Luft. Aber das war mir lieber, als jetzt schon einen Schlauch einziehen zu müssen, zumal ich das mit Milch im Reifen bisher noch nie getestet habe. Bestimmt eine schöne Sauerei, auf die ich noch keine Lust hatte. Wollte ich mir als letzte Option offen lassen.

Was jetzt folgte, habe ich zuletzt so in Dänemark erlebt. Sturmböen, so dass ich auf topfebener Strecke in den kleinsten Gang schalten musste, um überhaupt noch voran zu kommen. Aber zum Glück brauchte ich nur wenige Kilometer gegen den Wind ankämpfen. Und zwischendurch kam sogar die Sonne zum Vorschein, und immer wieder schöne Anstiege und Abfahrten.

Bis Braunfels lief es richtig gut, flach, wenig Verkehr. Die Arme bequem auf dem Auflieger platziert, kam ich zügig voran. So hätte es bis Gießen bleiben können. Doch das wäre zu einfach gewesen. 

Die 5.Kontrolle in Braunfels – nach exakt 140 Kilometern – war eine Parkuhr. Ich zog ein kostenloses Ticket, aß noch schnell einen Riegel und fuhr weiter. Der Druck im Reifen hielt jetzt ohne nachzupumpen und ich fühlte mich “körperlich” gut. Keine Verspannungen, keine Schmerzen und noch genügend Druck in den Beinen für die restlichen 60 Kilometer.

Dann kam nach 160 Kilometern zwischen Sinn und Ballersbach ein ganz fieser, steiler und ca. 2 km langer Anstieg (Tom nennt den Anstieg “bocksteil” in seinem Video), dessen Ende nur in Zeitlupe näher rückte und ich kurz davor war, abzusteigen und zu schieben. Doch ich quälte mich hoch. In der Spitze waren es nur 13%, mir kam es wie mindestens 20% vor. Sofort schoss mir der Ötztaler durch den Kopf und dass ich unbedingt noch ein paar Kilo abnehmen muss, um dort zu bestehen. Die Übersetzung zu ändern, wäre auch noch eine Option, doch dazu müsste ein neues Schaltwerk montiert werden. Aber es ist erst Ende März und in den 5 Monaten bis zum Ötzi wird sich meine Form – noch verbessern.

Als wären Wind, Regen und Hagel nicht genug, so fing es jetzt auch noch an zu schneien und die Temperatur ging auf Null runter. Als ich den “bocksteilen” Anstieg zum Gipfel endlich erreicht hatte, war mein Helmvisier so beschlagen, dass ich nur im Schritttempo die Abfahrt nach Sinn nehmen konnte. Und das war mein Glück, denn plötzlich lenkte sich mein Vorderrad schwammig. Es war wieder platt. Genau in diesem Moment rief meine Frau an und fragte mich, ob ich schon im Auto auf dem Rückweg nach Hause sei. Haha, schön wär’s. Ich bat sie, sich darauf einzustellen, dass ich evtl. noch ein Not-Taxi brauche, wenn ich den Plattfuß nicht in den Griff kriege. Kurz danach hielt ein Auto an: “Brauchen sie Hilfe?”. Gut, dass es so freundliche Menschen gibt. Zum Glück hielt die Luft nach dem Aufpumpen und ich signalisierte der freundlichen Frau, dass ich allein klarkomme. Bis nach Ballersbach fuhr ich ganz vorsichtig, weil ich dem Reifen nicht traute und außerdem durch das beschlagene Visier im Blindflug unterwegs war. Meine Hände konnte ich bei der Kälte in den durchnässten Handschuhen kaum noch bewegen. Aber es waren nur noch 10 Kilometer bis zur 5.Kontrolle in Mittenaar, die ich kurze Zeit später nach 170 Kilometern erreichte.

Die freundliche Tankwartin der Total Tankstelle fragte mich, ob ich der Letzte des Brevets sei, denn es wären schon viele vor mir hier gewesen, etwa 25 Randonneure und der schnellste schon vor 3 Stunden. Wahnsinn!!
Wir waren 50 Starter in Gießen, somit mussten noch ein paar hinter mir sein. Das spielte aber keine Rolle. Ich war noch gut in der Zeit und vor allem noch in guter körperlicher Verfassung. Ich gönnte mir einen Kaffee und wärmte mich etwas auf. Etwa 5 Minuten nach mir rollten auch Tom und ein weiterer Randonneur ein.

Sicherheitshalber pumpte ich vorne nochmal etwas Luft nach, das letzte Mal (Spoiler) bis zum Ziel. Mit eingeschaltetem Licht (es dämmerte bereits) und trockenen Ersatzhandschuhen nahm ich die letzten 30 Kilometer bis Gießen in Angriff. Nach ein paar letzten Anstiegen rollte ich die letzten 15 Kilometer entspannt zur star-Tankstelle in der Grünberger Straße, dem Ziel des Brevets.

 

Geschafft! Auch Tom kam wenige Minuten später an und erreichte noch rechtzeitig seinen Zug nach Frankfurt.

Ein schönes Brevet, eine gelungene “Prüfung” meinerseits und gleichzeitig ein guter Start für das spezifische Ötzi-Training.    

Vielen Dank an Christian und seine Frau für die gute Organisation!!

Gesamt : 202 km – 2.365 Hm – 11:53 h (Brutto) – 9:36 h (Netto) – 21,0 km/h (Netto)

Strava-Link

Komoot-Link  

     

  

 

  

 

  

2 Kommentare

    1. Ursache unklar, habe den Reifen nochmal vom Felgenhorn runtergedrückt, aufgepumpt bis zum Plopp und Milch nachgefüllt. Bis jetzt ist er dicht.

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